Das SKZ blickt zurück auf die Entwicklung hin zum derzeitigen Fachkräftemangel und wagt eine Prognose, wie es weiter gehen wird und wie die Kunststoffbranche mehr Fachkräfte akquirieren kann.
Wie gefährlich ist der Fachkräftemangel für die Kunststoffindustrie?
2010 war die Welt noch in Ordnung. Lediglich 16 % der Unternehmen in Deutschland sahen den Fachkräftemangel laut einer Erhebung der Industrie- und Handelskammern als Geschäftsrisiko. An dieser Stelle Glückwunsch, falls Sie unter diesen 16 % waren. Anscheinend hatten Sie eine sehr vorausschauende Sichtweise. Inzwischen sind zwölf Jahre vergangen. Bereits mehr als 50 % der deutschen Unternehmen können aktuell offene Stellen nicht besetzen.
Dabei kam diese Entwicklung keineswegs überraschend. Die demographische Entwicklung kennen wir. Dass die Babyboomer eines Tages in Rente gehen, war auch klar. Nun stellt sich die Frage, warum haben wir nicht reagiert? Oder haben wir einfach Fehler gemacht?
Wie immer liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Ich möchte mir da noch kein abschließendes Urteil erlauben. Allerdings lässt sich feststellen, dass der Effekt des academic drifts sich eher verstärkt hat. Der academic drift bezeichnet einen deutlichen Anstieg akademischer Abschlüsse im Verhältnis zu anderen Bildungsabschlüssen. Allein zwischen 2008 und 2017 stieg z.B. der Anteil an Abiturienten von 24 auf 32 % (Quelle: Statistisches Bundesamt) in Deutschland. Die Zahl der Studienanfänger stieg im gleichen Zeitraum von 265.176 auf 347.921 also um über 30%.
Im Land der Dichter und Denker werden wir also immer schlauer – oder wird es schlicht einfacher, hohe Bildungsabschlüsse zu erhalten? Was immer der Grund ist, findet definitiv statt. Deshalb ist der Fachkräftemangel vor allem in vielen Ausbildungsberufen umso stärker. Zwei Effekte nehmen hier die Fachkräfteverfügbarkeit in die Zange: zum einen die bereits erwähnte Demographie und zum anderen – ja, was nun eigentlich? Mangelndes Interesse an eher handwerklichen oder praktischen Tätigkeiten? Zu geringe Bezahlung? Schlechte Reputation? Bei den Klagen vieler Betriebe können es die Jobchancen wohl kaum sein.
Und die wichtige Frage, die uns beschäftigt: Was heißt das für die Kunststoffindustrie? Die Antwort ist leider kurz und vernichtend: nichts Gutes. Bei den Studienanfängern für Kunststofftechnik und Kunststoffverarbeitung sinken die Zahlen. Was keineswegs heißt, dass wir lediglich vom academic drift verschont werden. Auch Verfahrensmechaniker und Kunststoff-und-Kautschuk-Meister werden händeringend gesucht. Das Image unserer Werkstoffe spielt hier definitiv eine Rolle. Einen Lehrberuf im Kunststoffbereich zu ergreifen oder gar ein Studium muss ja auch moralisch überdacht werden. Vielleicht müssen sich manche sogar zunächst ein paar kritische Fragen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis gefallen lassen. Das schreckt ab.
Diese Herausforderung werden wir nicht schnell lösen können. Zum Glück haben wir jedoch bereits begonnen, dies anzugehen. Kunststoff verursacht sicherlich viele ökologische Probleme – das ist uns als Industriezweig wohl bewusst – aber gerade dieser Werkstoff ist auch Teil der Lösung. Anwendungen, wie Windkraftanlagen beispielsweise, sind ohne Kunststoffe kaum denkbar. Die Beispiele sind zahlreich und ich spare mir hier die Aufzählung. Wichtig ist, wir haben als Branche jetzt die Aufgabe, das Gespräch zu suchen, sachlich aufzuklären und die Probleme, die zweifellos da sind, anzugehen. Sprich: die Entwicklung hin zu einer Kreislaufwirtschaft zu forcieren.
Das Kunststoff-Zentrum SKZ möchte auch hier ein Wegbereiter sein. Als Brancheninstitut betrachten wir es als unsere Aufgabe, Aufklärungsarbeit zu leisten. So betreibt das SKZ seit Jahren ein Schülerlabor, um Berufsbilder in der Kunststoffindustrie praktisch zu veranschaulichen. Dieses wurde kürzlich um ein Umweltlabor mit Fokus auf Kreislaufwirtschaft erweitert. In unserem hauseigenen Podcast „Kunststoff nachgefragt“ informieren wir auf regelmäßig hohem Niveau über Kunststoffe. Das Wichtigste ist aber: Wir bilden aus. Und weiter. Denn: Die Zahl der Quereinsteiger wird künftig nicht sinken, und auch durch Weiterbilden kommen Unternehmen an die dringend benötigten Fachkräfte.
Das Thema ist definitiv wichtig. Deshalb wird es auch auf dem diesjährigen SKZ-Netzwerktag am 29. Juni 2022 besonders im Fokus stehen. Wir präsentieren federführende und innovative Konzepte und neue Ideen aus der Branche, wie Unternehmen dem Fachkräftemangel entgegenwirken können. Lassen Sie uns gemeinsam darüber diskutieren und Lösungen finden. Sie sind herzlich eingeladen.
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